21 Die vier Schichten des TCP/IP-Modells

21.1 Einleitung

Das TCP/IP-Modell, auch TCP/IP-Protokollstapel oder TCP/IP-Protokollfamilie genannt, bildet die technische Grundlage des modernen Internets und weltweiter Netzwerkkommunikation. Im Gegensatz zum theoretisch orientierten OSI-Referenzmodell entstand TCP/IP aus praktischen Anforderungen der frühen Internetentwicklung im Rahmen des ARPANET-Projekts. Sein schlankes, vierschichtiges Design hat sich aufgrund seiner Flexibilität, Skalierbarkeit und Anpassungsfähigkeit als überaus erfolgreich erwiesen.

Das TCP/IP-Modell organisiert Netzwerkprotokolle und -dienste in vier funktionale Schichten, die zusammen eine vollständige Kommunikationsinfrastruktur bilden. Diese Architektur ermöglicht es, dass verschiedene Geräte unabhängig von ihrer Hardware, ihrem Betriebssystem oder physischen Verbindung miteinander kommunizieren können – ein Prinzip, das für das globale Internet unverzichtbar ist.

In diesem Kapitel betrachten wir jede der vier Schichten im Detail, ihre spezifischen Aufgaben, wichtigsten Protokolle und deren Zusammenspiel. Wir werden verstehen, wie dieses scheinbar einfache Schichtenmodell die enorme Komplexität moderner Netzwerkkommunikation bewältigt und warum es sich gegen konkurrierende Modelle durchgesetzt hat.

21.2 Die Netzzugangsschicht (Network Access Layer)

Die Netzzugangsschicht, manchmal auch als Netzwerkschnittstellen- oder Linkschicht bezeichnet, bildet die unterste Ebene des TCP/IP-Modells. Sie entspricht konzeptionell den beiden untersten Schichten des OSI-Modells: der physikalischen Schicht und der Sicherungsschicht.

21.2.1 Funktion und Verantwortlichkeiten

Die Netzzugangsschicht erfüllt zwei grundlegende Funktionen:

  1. Physische Verbindung: Sie definiert, wie Bits über das physische Medium übertragen werden – sei es Kupferkabel, Glasfaser oder drahtlose Verbindungen. Dies umfasst elektrische Signale, Steckverbinder, Übertragungsraten, Modulationsverfahren und weitere physikalische Aspekte.

  2. Datenpaketbildung und Medienzugriff: Sie organisiert Bits in größere Einheiten (Frames), kümmert sich um die Adressierung auf physischer Ebene (MAC-Adressen) und regelt den Zugriff auf das Übertragungsmedium, besonders in geteilten Medien wie drahtlosen Netzwerken.

Diese Schicht agiert als Bindeglied zwischen den software-definierten Protokollen der höheren Schichten und der physischen Hardware. Sie abstrahiert die Komplexität der unterschiedlichen Übertragungsmedien und -technologien, sodass die höheren Schichten unabhängig vom verwendeten Medium arbeiten können.

21.2.2 Wichtige Technologien und Protokolle

Auf der Netzzugangsschicht finden wir eine große Vielfalt an Technologien, da sie direkt mit der physischen Übertragung verbunden ist:

21.2.3 Geräte auf der Netzzugangsschicht

Auf dieser Schicht operieren mehrere wichtige Netzwerkgeräte:

21.2.4 Kapselung und Frame-Struktur

Ein zentrales Konzept auf dieser Schicht ist die Kapselung von Daten in Frames. Ein typischer Ethernet-Frame enthält:

Diese Struktur kann je nach Technologie variieren, erfüllt aber immer die gleiche Grundfunktion: die zuverlässige Übertragung von Daten über das physische Medium.

21.3 Die Internetschicht (Internet Layer)

Die Internetschicht, die zweite Schicht des TCP/IP-Modells, entspricht konzeptionell der Vermittlungsschicht (Network Layer) des OSI-Modells. Sie ist das Herzstück des TCP/IP-Protokollstapels und ermöglicht das Routing über verschiedene Netzwerke hinweg – die Grundlage für das globale Internet.

21.3.1 Funktion und Verantwortlichkeiten

Die Internetschicht übernimmt vier Hauptfunktionen:

  1. Adressierung: Sie verwendet IP-Adressen (IPv4 oder IPv6), um Geräte weltweit eindeutig zu identifizieren, unabhängig von ihrer physischen Adresse.

  2. Routing: Sie bestimmt den besten Pfad für Datenpakete durch verschiedene Netzwerke zum Ziel, auch über viele Zwischenstationen hinweg.

  3. Fragmentierung und Reassemblierung: Sie teilt große Datenpakete in kleinere Fragmente auf, wenn diese die Maximum Transmission Unit (MTU) eines Netzwerks überschreiten, und setzt sie am Ziel wieder zusammen.

  4. Logische Adressierung: Sie schafft eine Abstraktionsschicht über der physischen Adressierung, sodass Routing unabhängig von der darunter liegenden Netzwerktechnologie funktioniert.

Diese Schicht macht das eigentliche “Inter-Networking” – die Verbindung verschiedener Netzwerke zu einem großen Netzwerk – möglich und schafft damit die Grundlage für das globale Internet.

21.3.2 Wichtige Protokolle

Die Internetschicht umfasst mehrere zentrale Protokolle:

21.3.3 IP-Adressierung und Routing

Die IP-Adressierung ist ein zentrales Konzept dieser Schicht:

Das Routing auf dieser Schicht wird durch komplexe Algorithmen und Protokolle gesteuert:

21.3.4 IP-Paket-Struktur

Ein IP-Paket (auch Datagramm genannt) besteht aus:

21.3.5 Wichtige Geräte auf der Internetschicht

Auf dieser Schicht operieren vorrangig Router, die zentrale Netzwerkgeräte für das Internet sind:

21.4 Die Transportschicht (Transport Layer)

Die Transportschicht bildet die dritte Schicht des TCP/IP-Modells und entspricht der gleichnamigen Schicht im OSI-Modell. Sie stellt eine Ende-zu-Ende-Kommunikation zwischen Anwendungen auf verschiedenen Geräten sicher und bietet verschiedene Servicequalitäten.

21.4.1 Funktion und Verantwortlichkeiten

Die Transportschicht erfüllt mehrere kritische Funktionen:

  1. Ende-zu-Ende-Kommunikation: Sie etabliert eine logische Verbindung zwischen Prozessen auf verschiedenen Hosts, unabhängig von den darunter liegenden Netzwerken.

  2. Multiplexing und Demultiplexing: Durch Ports können mehrere Anwendungen auf einem Host gleichzeitig kommunizieren.

  3. Datenflusskontrolle: Reguliert die Datenübertragungsrate, um Überlastung zu vermeiden.

  4. Fehlererkennung und -korrektur: Je nach Protokoll werden verschiedene Mechanismen zur Sicherstellung der Datenintegrität eingesetzt.

  5. Segmentierung und Reassemblierung: Große Datenmengen werden in kleinere Segmente aufgeteilt und am Ziel wieder zusammengesetzt.

21.4.2 Hauptprotokolle: TCP und UDP

Die Transportschicht bietet zwei Hauptprotokolle mit unterschiedlichen Eigenschaften:

21.4.2.1 TCP (Transmission Control Protocol)

TCP ist ein verbindungsorientiertes, zuverlässiges Protokoll, das folgende Funktionen bietet:

Die TCP-Header-Struktur enthält wichtige Felder wie: - Quell- und Zielport - Sequenznummer - Bestätigungsnummer - Flags (SYN, ACK, FIN, RST usw.) - Fenstergröße - Prüfsumme - Dringlichkeitszeiger - Optionen

TCP wird für Anwendungen verwendet, die Zuverlässigkeit erfordern, wie Webbrowsing, E-Mail, Dateiübertragung und Fernanmeldung.

21.4.2.2 UDP (User Datagram Protocol)

UDP ist ein verbindungsloses, einfaches Protokoll mit minimaler Funktionalität:

Die UDP-Header-Struktur ist wesentlich einfacher als bei TCP und enthält nur: - Quell- und Zielport - Länge - Prüfsumme

UDP wird für Anwendungen verwendet, bei denen Geschwindigkeit wichtiger ist als Zuverlässigkeit, wie Streaming-Medien, Online-Spiele, DNS-Anfragen und VoIP.

21.4.3 Weitere Transportprotokolle

Neben TCP und UDP existieren weitere, speziellere Transportprotokolle:

21.4.4 Ports und Sockets

Ein entscheidendes Konzept der Transportschicht sind Ports, die es ermöglichen, verschiedene Anwendungen auf demselben Host zu adressieren:

21.4.5 Anwendungsfälle und Protokollwahl

Die Wahl zwischen TCP, UDP oder spezialisierten Protokollen hängt von den Anforderungen der Anwendung ab:

Die Entscheidung basiert typischerweise auf der Abwägung zwischen Zuverlässigkeit, Latenz und Overhead.

21.5 Die Anwendungsschicht (Application Layer)

Die Anwendungsschicht bildet die oberste Schicht des TCP/IP-Modells und entspricht funktional den drei obersten Schichten des OSI-Modells (Sitzung, Darstellung und Anwendung). Sie stellt die Schnittstelle zwischen Netzwerkanwendungen und dem Rest des Protokollstapels dar.

21.5.1 Funktion und Verantwortlichkeiten

Die Anwendungsschicht hat mehrere zentrale Aufgaben:

  1. Bereitstellung von Netzwerkdiensten: Sie definiert Protokolle für spezifische Anwendungen wie Webbrowsing, E-Mail, Dateiübertragung usw.

  2. Datenformatierung und -darstellung: Sie konvertiert Daten in standardisierte Formate für die Übertragung und wandelt sie beim Empfang wieder in anwendungsspezifische Formate um.

  3. Sitzungsverwaltung: Sie etabliert, verwaltet und beendet Kommunikationssitzungen zwischen Anwendungen.

  4. Benutzerauthentifizierung: Sie bietet Mechanismen zur Identitätsprüfung und Zugangskontrolle.

Im Gegensatz zum OSI-Modell fasst das TCP/IP-Modell alle anwendungsbezogenen Funktionen in einer einzigen Schicht zusammen, was die Implementierung vereinfacht und die Flexibilität erhöht.

21.5.2 Wichtige Protokolle und Dienste

Die Anwendungsschicht umfasst eine Vielzahl von Protokollen für unterschiedliche Zwecke:

21.5.2.1 Webprotokolle

21.5.2.2 E-Mail-Protokolle

21.5.2.3 Dateiübertragungsprotokolle

21.5.2.4 Namensauflösung und Verzeichnisdienste

21.5.2.5 Fernzugriff und Verwaltung

21.5.2.6 Echtzeit-Kommunikation

21.5.2.7 Sicherheitsprotokoll

21.5.3 API-Konzepte und Sockets

Die Anwendungsschicht nutzt verschiedene Programmierschnittstellen (APIs) und Konzepte:

21.5.4 Anwendungsarchitekturen

Auf der Anwendungsschicht haben sich verschiedene Architekturmodelle entwickelt:

21.5.5 Anwendungsdaten und Payloads

Auf der Anwendungsschicht werden Daten in verschiedenen Formaten dargestellt:

21.6 Zusammenwirken der Schichten

Das TCP/IP-Modell mit seinen vier Schichten bietet einen pragmatischen und effektiven Rahmen für Netzwerkkommunikation. Jede Schicht hat spezifische Verantwortlichkeiten und arbeitet mit den anderen Schichten zusammen, um eine Ende-zu-Ende-Kommunikation zu ermöglichen.

21.6.1 Datenfluss durch die Schichten

Wenn Daten von einer Anwendung gesendet werden, durchlaufen sie die Schichten von oben nach unten:

  1. Anwendungsschicht: Erzeugt die zu übertragenden Daten in einem anwendungsspezifischen Format.

  2. Transportschicht: Segmentiert die Daten, fügt Port-Informationen hinzu und bietet je nach gewähltem Protokoll (TCP/UDP) unterschiedliche Dienste.

  3. Internetschicht: Fügt IP-Header mit Quell- und Zieladressen hinzu und kümmert sich um das Routing zum Zielnetzwerk.

  4. Netzzugangsschicht: Wandelt IP-Pakete in Frames um, die über das physische Medium übertragen werden können, und fügt physische Adressierungsinformationen hinzu.

Beim Empfänger werden die Daten in umgekehrter Reihenfolge verarbeitet, wobei jede Schicht ihren Header entfernt und die Daten an die nächsthöhere Schicht weitergibt.

21.6.2 Kapselung und Dekapselung

Dieser Prozess wird als Kapselung (beim Senden) und Dekapselung (beim Empfangen) bezeichnet:

Die Dateneinheiten haben je nach Schicht unterschiedliche Bezeichnungen: - Anwendungsschicht: Daten - Transportschicht: Segmente (TCP) oder Datagramme (UDP) - Internetschicht: Pakete - Netzzugangsschicht: Frames

21.6.3 Vorteile des vierschichtigen Modells

Das schlanke, vierschichtige Design des TCP/IP-Modells bietet mehrere Vorteile:

  1. Praktische Orientierung: Es wurde für reale Implementierungen entwickelt und ist daher pragmatischer als theoretische Modelle.

  2. Flexibilität: Es erlaubt die Integration neuer Protokolle und Technologien ohne grundlegende Änderungen am Modell.

  3. Interoperabilität: Es ermöglicht die Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen, unabhängig von Hardware, Betriebssystem oder physischer Verbindung.

  4. Skalierbarkeit: Es hat bewiesen, dass es vom kleinen LAN bis zum globalen Internet skalieren kann.

  5. Modularität: Die klare Trennung der Schichten ermöglicht die unabhängige Entwicklung und Optimierung jeder Schicht.